Dr. Uwe Kurzke – Pellworm

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Bürgerwindpark
Bürgerwindpark

Mein Name ist Uwe Kurzke, ich habe gemeinsam mit vielen Freunden Ende der 1980er den Verein „Ökologisch wirtschaften“ gegründet. Wir haben uns von Anfang an um ein gesamtheitliches Entwicklungskonzept für die Insel gekümmert und auch Mitte der 1990er Jahre die ersten Energiekonzepte für die Insel Pellworm im Rahmen eines großen EU-Projektes entwickeln lassen.

Was war Ihre persönliche Motivation zu Beginn und hat sich diese Motivation über die Zeit verändert?

Der Verein „Ökologisch wirtschaften“ beschäftigt sich ja nicht nur mit Energie, sondern wir beschäftigen uns auch mit vielen anderen Fragen, wie es mit nachhaltigem Tourismus aussieht, wie es mit der Ökologisierung der Landwirtschaft aussehen kann. Wenn man auf so einer kleinen Insel lebt, merkt man relativ rasch, dass positive Entwicklungen in einem Wirtschaftsbereich sich durchaus sehr negativ auf andere Bereiche auswirken können, was dann bedeutet, dass letzten Endes alle einen Nachteil davon haben. Also war unser Bestreben immer zu kucken, dass jede Entwicklung möglichst auch positive Effekte in anderen Bereichen haben sollte. Dieser ganzheitliche Blick, das ist eigentlich das, was für mich als Haus- und Allgemeinarzt auch so prägend ist, nicht nur das einzelne Symptom anzuschauen und das zu kurieren, sondern zu kucken wie geht’s denn im Ganzen.

Wie zieht die Gesamtheit der Bevölkerung bei der Entwicklung der erneuerbaren Energien mit?

Ich denke, das kann man unterschiedlich bewerten. Was die konsequente Ökologisierung der Insel angeht, da hat es eine ganze Reihe Widerstände gegeben. Wir haben heute zwar gut 12 bis 13 Prozent ökologische Anbaufläche auf Pellworm. Das ist deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt, aber bei weitem nicht das, was wir eigentlich für wünschenswert gehalten hätten. Was den Bereich Energie angeht, ist das ein bisschen anders. Ich denke schon, dass 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung hinter diesem Konzept der Energie-Plus-Insel Pellworm stehen, nicht zuletzt deshalb weil über den Windpark 42 Pellwormer Familien ein zusätzliches Einkommen generieren und zum andern auch weil durch das Konzept der klimafreundlichen Ferienwohnungen und durch viele Maßnahmen, die wir mit unserer Energie AG gestartet haben, positive Auswirkungen auch bei denen zu spüren waren, die nicht unbedingt am Windpark beteiligt sind.

Solarfeld
Solarfeld

Was sind diese positiven Auswirkungen? Wie profitieren die Einzelnen?

Ursprünglich war ja vermutet worden, dass die Nutzung regenerativer Energien sich nachteilig beispielsweise auf den Fremdenverkehr auswirken würde. Im Laufe der Jahre ist es schon gelungen Pellworm in der Hinsicht zu einer Marke zu machen. Wir haben gemeinsam mit einem Forschungsinstitut in Kiel ein Zertifikat entwickelt für die klimafreundliche Ferienwohnung, so dass Vermieter auch mit diesem Alleinstellungsmerkmal werben können. Pellwormer selbst haben über viele Aktionen, die wir als Energie AG auf der Insel gestartet haben, Nutzen daraus gezogen. Wir führen extrem günstige Thermographie Aktionen durch. Wir haben Aktionen durchgeführt zum Austausch von Küchengroßgeräten, die dann subventioniert wurden, weil unsere AG mit verschiedenen Konzepten Preisgelder gewonnen hatte. Wir haben in der Schule Projektwochen organisiert, wir haben für die Schule Informationsfahrten zu anderen sich mit diesem Thema beschäftigenden Ausstellungen finanziert, wir bieten immer wieder Informationsveranstaltungen an und sind in dem Bereich auch für die Allgemeinheit sehr aktiv.

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen der Bevölkerung, den Netzbetreibern und den Forschungsinstituten?

Der Arbeitskreis Energie hat sich aus privater Initiative zusammengefunden. Darin sind alle, die sich für regenerative Energien interessieren. Da sind aber auch diejenigen drin, die wirtschaftlich damit zu tun haben, da sind Landwirte vertreten, da sind aber auch Naturschützer und Fremdenverkehrstragende, beispielsweise der Kurdirektor, so dass wir nach Möglichkeit eigentlich aus allen Wirtschafts- und Lebensbereichen Vertreter haben. Wir versuchenThemen ohne große politische Auseinandersetzungen rein sachbezogen im Kompromiss zu lösen und dann Vorschläge zu erarbeiten. Diese Vorschläge gehen an die Gemeindevertretung und die Gemeindevertretung kann dann, wenn es in ihre Vorstellungen passt entsprechend entscheiden. Wir arbeiten insofern mit der EON zusammen als wir mit denen in einem direkten Austausch stehen. Ein bisschen stehen wir mit denen manchmal auch in einer Konkurrenzsituation weil wir uns natürlich auch schon weitergehende Gedanken über Netzkauf und Direktvermarktung unseres Stroms auf der Insel machen. Forschungsinstitute und Fachleute ziehen wir für bestimmte Projekte heran. Also wenn wir jetzt ein Projekt haben zum Beispiel zur Nahwärmeversorgung im Schwimmbad oder zur Optimierung bestimmter Dinge, dann werden von uns Gutachter beauftragt, die dann mit der Arbeitsgemeinschaft gemeinsam versuchen die Probleme zu lösen.

Pellworm vom Leuchtturm aus
Pellworm vom Leuchtturm aus

Sie haben Netzkauf und Direktvermarktung angesprochen. Ist es das Ziel autark zu werden?

Das Thema Energie aus meiner Sicht ist viel umfassender zu betrachten. Es geht nicht nur darum „grünen Strom“ zu erzeugen und zu verbrauchen, sondern es geht darum die Bevölkerung zu motivieren sich an Energieeinspar- und Effizienzmaßnahmen zu beteiligen. Es geht aber auch darum mit der Nutzung regenerativer Energie etwas zur Stabilisierung des ländlichen Raumes zu tun. Deswegen ist es aus unserer Sicht extrem wichtig, dass die Bürger, die vor Ort leben, die vielleicht auch unter Erzeugungsanlagen leiden müssen, dass die einen möglichst hohen Vorteil aus diesen Anlagen ziehen und dass gleichzeitig die Gewinne, die so entstehen, auch vor Ort bleiben weil der ländliche Raum, speziell so eine kleine Insel wie Pellworm, ansonsten langfristig eigentlich gar keine Chance mehr hat.
Wir arbeiten zusammen derzeit an einem Projekt, wo wir versuchen den Strom direkt hier auf der Insel zu vermarkten. Das wird noch ein bisschen Zeit brauchen weil das doch sehr umfangreiche Berechnungen und Verhandlungen mit sich bringen wird. Netzkauf steht für uns im Moment nicht ganz oben auf der Agenda. Im Moment geht’s vor allem darum, dass wir mit dem Neubau des Windparks, der jetzt für das nächste Jahr ansteht, ein weiteres Zeichen setzen langfristig regenerative Energien auf Pellworm im Sinne der ganzen Insel nutzen zu können.

Wenn der Windpark neu gebaut wird, was passiert mit den alten Anlagen? Und was wurde mit den Solarzellen des alten Solarfelds gemacht?

Die alten Anlagen müssen abgebaut werden, das ist im Genehmigungsverfahren vorgeschrieben. Unser Hauptproblem zur Zeit ist eigentlich, dass der Windpark nicht in der Größenordnung gebaut werden kann wie geplant weil das Seekabel nicht ausreicht. Wir würden gerne zur Versorgungssicherheit der Insel ein stärkeres Seekabel haben, das wir aber natürlich auch gleichzeitig nutzen wollen um Strom zu exportieren. Da gibt’s im Moment leider keine positiven Signale, weder seitens des Landes noch seitens des Netzbetreibers, der EON Netz. Da arbeiten wir dran, aber wir werden zumindest in der Lage sein Anfang nächsten Jahres die ersten drei Anlagen zu montieren. Photovoltaikanlagen werden aktuell keine abgebaut. Es hat aber Anfang 2000 schon ein Projekt gegeben zum Recycling von Photovoltaikplatten. Die Anlagen, die zur Zeit laufen werden sicherlich noch die nächsten 15 bis 20 Jahre weiter laufen, was die Photovoltaik angeht.

Beschädigte Solarzellen im Hybridkraftwerk
Beschädigte Solarzellen im Hybridkraftwerk

Hat sich Recycling bewährt?

Es ist teurer als der Neukauf einer Anlage. Aber sagen wir so, es besteht zumindest die Möglichkeit das zu recyclen.

Pellworm wird seit 2013 zur „Smart Region“. Wie könnte Ihrer Meinung nach das Stromnetz der Zukunft aussehen?

Das SmartGrid Projekt der EON, gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut und verschiedenen Fachfirmen, sowie der Fachhochschule Heide ist eigentlich eine Insel auf der Insel. Es wird versucht in einem relativ kleinen Rahmen mit der Energie der Windkraftanlage, die am Solarfeld steht, mit dem Solarfeld und teilweise unter rechnerischer Einbindung unserer Biogasanlage eine konstante Bandbreite der Stromlieferung zu garantieren. Dazu werden im Rahmen dieses Projekts zwei verschiedene Batterietypen ausprobiert. Das eine ist eine Redox-Flow-Batterie und das andere ist eine Lithium-Ionen-Batterie. Man will austesten in wie weit man in der Lage ist mit den regenerativen Energien eine konstante Energieversorgung sicherzustellen. Pellwormer Bürger sind eingebunden in das Projekt. Viele von uns sind mit einem Smart Meter ausgerüstet worden, mit dem für weiterführende Berechnungen der Verbrauch in den einzelnen Haushalten kundengenau erfasst werden kann. Einige Pellwormer Einwohner sind mit steuerbaren Elektrospeicheröfen ausgerüstet worden, die man auch als externe Energiespeicher nutzen kann. Insgesamt ist es aber so, dass die Gesamtenergieproduktion und der Verbrauch auf der Insel noch nicht im Rahmen dieses SmartGrid Projekts gesichert werden.

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Was ist Ihre Zukunftsvorstellung von einer idealen Energieversorgung für diese Insel?

Meine heutige Idealvorstellung wäre gar nicht, dass die Insel sich allein versorgt. Anders als in den 1990er Jahren, als für uns die Ökologisierung der Insel, die weitgehend nachhaltige Nutzung der Insel, samt ihrer sämtlichen Ressourcen vom Boden bis zur Luft im Vordergrund stand, sehe ich heute in einer ausschließlich autarken Energieversorgung der Insel nicht mehr unser primäres Ziel. Unser Ziel muss auf der einen Seite sein, dass wir natürlich möglichst viel von dem Strom, den wir hier erzeugen, auch hier verbrauchen und dass wir diesen Strom nach Möglichkeit allen Pellwormern günstiger als bei gängigen Standardangeboten zur Verfügung stellen können. Unser Ziel muss aber auch sein, Gewinne zu generieren aus der Nutzung regenerativer Energien, die langfristig Familien das Überleben auf der Insel sichern können. Die Insel befindet sich in einem starken Umbruch. Bereits heute sind 60 Prozent der Einwohner über 60. Dieser Prozess wird sich dramatisch beschleunigen. Wir werden bis zum Jahr 2025 30 Prozent unserer Einwohner verlieren. Das heißt wir müssen dringend etwas tun um zumindest den demografischen Wandel ein bisschen abzubremsen. Wenn es uns gelingen würde über die Nutzung regenerativer Energien beispielsweise über eine Stiftung eine zusätzliche finanzielle Unterstützung für junge Pellwormer Familien mit Kindern in der Ausbildung zu finanzieren, könnten wir so vielleicht dem demografischen Niedergang der Insel ein bisschen Aufschub verschaffen. Insofern denke ich, dass es nicht mehr nur um die rein autarke Energieversorgung geht, es geht um mehr.

Was können andere Gegenden von Pellworm lernen?

Es gibt in der Bundesrepublik zahlreiche Regionen, die zum Teil technisch deutlich weiter sind als wir, die vielleicht auch schon in der Lage sind tatsächlich so etwas wie eine autarke Versorgung sicherzustellen. Wenn Pellworm als Beispiel dienen kann, dann sicherlich dafür, dass Engagement für Energiewandel, Energieeffizienz und vor allem den schonenden Umgang mit Ressourcen nur funktionieren kann, wenn es von unten wächst. Das ist nichts, was von der EU, der Bundesregierung oder einem Landtagspräsidenten verordnet werden kann. Es funktioniert dann, wenn möglichst viele in der Region eingebunden sind und wenn möglichst viele einen Vorteil daraus ziehen können, sei es finanziell, sei es ideell oder sei es durch irgendeine andere Form von Vorteil. Je mehr Leute am eigenen Leib spüren, dass Sie damit auch gewinnen können, umso eher wird es vorangehen. Die Probleme der Umsetzung liegen dann eher außerhalb der Region, wenn Großkonzerne und Netzbetreiber eine Rolle spielen und wenn die Bundesregierung sich manchmal schwer tut, das Thema Energie ein bisschen weiter zu fassen und auch mal zu erkennen, welche Chancen darin eigentlich für den ländlichen Raum liegen würden.

Dr. Uwe Kurzke
Dr. Uwe Kurzke

Erneuerbare Energien in Deutschland