Atterwasch – Zeigen, dass es auch anders geht

Mein Fahrradnavi funktionierte nicht mehr richtig. Es lag aber nicht daran, dass ich schon fast die polnische Grenze erreicht hatte. Das Ding war wirklich kaputt. Na ja, es spricht ja auch nichts dagegen nach Straßenschildern zu fahren. Mit Navi (oder mit Karte) wäre ich wahrscheinlich einen etwas schöneren oder direkteren Weg gefahren. So landete ich auf einem Weg, der schier endlos durch eine Kiefernmonokultur am Rand des Tagebaus führte. In regelmäßigen Abständen wiesen Schilder darauf hin, dass es nicht erlaubt ist den Weg zu verlassen, da man sich sonst auf dem Betriebsgelände des Tagebaus befindet. Als der Weg endlich wieder aus dem Kiefernforst hinausführte, wirkte die Landschaft um Kerkwitz, Grabko und Atterwasch mit grünen Wiesen und kleinen Wäldchen, Kühen und Bauernhöfen auf mich geradezu malerisch schön.

Atterwasch
Atterwasch

Einer dieser Bauernhöfe ist der Bauernhof Schulz in Atterwasch. Ulrich Schulz, sein Sohn Christoph und ihre Mitarbeiter führen in Atterwasch einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Hähnchenmast, Rindermast und Schweinemast, Biogasanlage, Photovoltaikanlage, Schlachtbetrieb und im Winterhalbjahr einer Fleischerei und bewirtschaften Ackerfläche, Grünland und Wald.
„Landwirtschaft und Energieerzeugung passen zu 100% zusammen“, meint Ulrich Schulz, „die Biogasanlage integriert sich natürlich in diesen landwirtschaftlichen Betrieb. Wir setzen ja nicht nur den Input aus der Landwirtschaft, sprich die tierischen Exkremente und nachwachsende Rohstoffe ein, sondern wir nutzen auch die Abwärme für unsere Ställe, für unsere Wohnungen und für unsere gewerblichen Teile des Betriebes.“ Mit der Leistung der Biogasanlage von 3 bis 3,5 Millionen kWh pro Jahr produziert Schulz rechnerisch den Bedarf von 1000 Durchschnittshaushalten und damit weit aus mehr als die Orte Atterwasch, Kerkwitz und Grabko mit zusammen knapp 900 Einwohnern verbrauchen. „Sicherlich wollen wir damit Geld verdienen, wir müssen damit Geld verdienen. Aber zum anderen wollten wir auch zeigen, wie Energie auch produziert werden kann ohne dafür Dörfer abzureißen, umzusiedeln, von der Landkarte verschwinden zu lassen“, erklärt Ulrich Schulz.

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Bauernhof Schulz
Bauernhof Schulz

Auf dem Bauernhof Schulz leben vier Generationen. Antje Walter, die Lebensgefährtin von Christoph Schulz, hat das Kinderzimmer ihrer kleinen Tochter bemalt. Dabei drängt sich ihr die Frage auf, was sich überhaupt zu tun lohnt, wenn man nicht weiß ob man bleiben kann. „Ist ja gut und schön, dass die dir die Wände tapezieren in deinem neuen Zuhause“, sagt Antje Walter über die Neubauten, die Vattenfall umsiedlungswilligen Betroffenen anbietet, „aber das waren meine Kraft und meine Ideen, die ich da reingesteckt habe.“

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Die betroffenen Menschen entwickeln unterschiedliche Arten mit der Situation umzugehen. „Es gibt eine Gruppe, die sagt: ‘Wir bleiben da, wir kämpfen und wir wollen das Dorf erhalten!’ Es gibt die, die sehr resigniert sind, und es gibt durchaus auch ein paar Leute, die sagen: ‘Entscheidung, Geld her und wir gehen. Wir wollen das nicht mehr ertragen.’ Es ist eine ziemlich ungute Gemengelage“, sagt Monika Schulz-Höpfner, „Zusammenfassen würde ich das in dem Satz, der soziale Frieden ist nachhaltig gestört in den Gemeinden, bei uns in Atterwasch ganz besonders, wie ich finde.“ Sie lebt seit 30 Jahren in Atterwasch und ist seit 20 Jahren Landtagsabgeordnete für die CDU. Im brandenburgischen Landtag ist die Mehrheit für die Erweiterung der Braunkohletagebaue. Manche Politikerkollegen reduzieren ihre Aussagen zuweilen auf ihre eigene Betroffenheit. Doch Monika Schulz-Höpfner sieht auch eine positive Seite: „Ich kann mich da vorne hinstellen und kann sagen: ‘Und ich erkläre Ihnen jetzt mal, wie sich das anfühlt, wie sich das wirklich anfühlt.’“
Aber reden alleine hilft nicht. Monika Schulz-Höpfner möchte ein großes Bündnis zwischen Regierung, Gewerkschaften und den gesellschaftlichen Akteuren erreichen um die Energiewende in einem breiten Konsens voranzutreiben. Sorge macht ihr das aggressive Gegeneinander, das sich derzeit hochschaukelt zwischen den im Bergbau beschäftigten Arbeitern, die Angst um ihre Jobs haben, und Einwohnern der betroffenen Orte, die nicht wissen ob sie ihr Zuhause verlieren.

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Atterwasch vom Kirchturm aus
Atterwasch vom Kirchturm aus

Matthias Berndt ist seit knapp 40 Jahren Pfarrer in Atterwasch. „Meine Aufgabe als Pfarrer ist es oftmals zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln und zu versuchen eine zukunftsweisende Lösung zu finden, gemeinsam. Zukunftsweisend heißt, dass es möglichst eine Lösung ist, mit der alle leben können. Wenn aber einer abgebaggert wird, kann er damit nicht leben und er muss woanders leben. Wenn einer seine Arbeit verliert, kann er damit nicht leben und er muss umziehen“, beschreibt der Pfarrer, für den mittlerweile eine Sonderpfarrstelle geschaffen wurde zur Seelsorge für die Braunkohleregion im Kirchenkreis Cottbus und um sich dafür einzusetzen, dass die christliche Aufgabe der Bewahrung der Schöpfung nicht aus dem Blick gerät.

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Dorfladen
Dorfladen des Kleintierzuchtvereins Kerkwitz

Zum Umgang mit der belastenden Situation gehört allerdings auch die Tagebauproblematik manchmal ausblenden zu können. So gibt es zum Beispiel bei Festen wie dem Maibaum-Aufstellen und dem anschließenden Dorffest die Absprache das Thema zu vermeiden, was mehr oder weniger gut gelingt. Wahrscheinlich ist dieses Vermeiden des Themas notwendig um als Gemeinschaft und auch als einzelner Mensch die Situation durchzustehen. Auch bei der Eröffnung des neues neuen Dorfladens in Kerkwitz blieb das Thema weitgehend ausgeklammert obwohl sogar der Ministerpräsident zu Besuch kam. Es ist wohl als positives Zeichen zu verstehen, dass der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke dem Dorfladen des Kleintierzuchtvereins Kerkwitz bei der Eröffnung am 1. Mai ein viele Jahre und Jahrzehnte langes Bestehen wünschte.

Dorfladen-Eröffnung
Eröffnung des neuen Dorfladens in Kerkwitz (links Ulrich Schulz, rechts Ministerpräsident Dietmar Woidke)

Optimistisch ist auch Pfarrer Berndt: „Ich bin da mit Zittern und Zagen und Bangen, recht zuversichtlich, weil ich davon ausgehe, dass der liebe Gott alle Menschen mit Vernunft ausgestattet hat, also auch die Politiker.“ Monika Schulz-Höpfner sieht die Zeit auf der Seite der Bewohner von Atterwasch, Kerkwitz und Grabko. Wenn die Entwicklung der Energiewende vorangeht wird es nicht mehr zeitgemäß sein Dörfer für Braunkohle zu opfern. Aufhören mit ihrem Engagement würde sie nicht, aber sie hofft bald sagen zu können: „Jetzt arbeiten wir an der Energiewende und nicht mehr nur daran, ich will bitte meine Heimat behalten.“

Dorffest
Dorffest in Atterwasch in der Nacht zum 1. Mai